In diesem Abschnitt werde ich über Kristalle und Kristallstrukturen schreiben, die ich für bemerkenswert halte. In irgendeiner Hinsicht sind sie außergewöhnlich, vielleicht sogar faszinierend. Manchmal wird die besondere Struktur im Mittelpunkt stehen, dann wieder die besonderen Eigenschaften des Stoffes. Die Auswahl der Kristallstrukturen folgt keinem von außen gegebenem Kriterium, sondern nur einem einzigen, subjektiven : Ich finde den Stoff bemerkenswert genug, um darüber zu schreiben.
Im weiteren Verlauf des Abschnitt erfahren Sie mehr zu den folgenden Kristallstrukturen.
Dibenzolchrom (C12H12Cr) besteht aus Molekülen. Diese Moleküle haben eine SandwichStruktur : zwischen 2 ebenen Benzolringen liegt ein Chromatom. Bild 3 auf der Seite über Ferrocen und Co. zeigt ein solches Molekül und seine Strukturformel. Mehr Informationen zum DibenzolchromMolekül finden Sie in Kapitel 6.4.2.2.
Fußnote 1 : Genauer : Ich habe in der xyEbene, die die Vorderseite des gezeichneten Würfels enthält, ein paar Chromatome außerhalb der Elementarzelle gezeichnet.
Die Elementarzelle des DibenzolchromKristalls ist kubisch, und die Chromatome besetzen die Positionen einer kubisch flächenzentrierten Kugelpackung. Bild 1 zeigt links einen Ausschnitt, der etwas größer ist als eine Elementarzelle. Ich habe die Vorderseite des Würfels ausgeweitet (→ Fußnote 1), und im gezeichneten Ausschnitt habe ich nur Chromatome gezeichnet.
Fußnote 1 : Genauer : Ich habe in der xyEbene, die die Vorderseite des gezeichneten Würfels enthält, ein paar Chromatome außerhalb der Elementarzelle gezeichnet.
Bild 1 : Elementarzelle von Dibenzolchrom. 4 Chromatome auf der Vorderseite sind eingezeichnet, dazu 4 Chromatome in derselben Ebene.
Bild 2 : DibenzolchromMoleküle an denselben Stellen wie die Chromatome in Bild 1, alle aufrecht stehend. Diese Darstellung entspricht nicht der Realität. Info im Text.
Die Chromatome besetzen die Positionen der Kugelpackung, da werden es die vollständigen Moleküle natürlich auch tun. Und sie werden neben und übereinander stehen wie die Türme im Schachspiel. In Bild 2 habe ich ein paar DibenzolchromMoleküle auf diese Art gezeichnet. Jedoch entspricht das nicht der Realität. Der Grund ist, dass ich hier (mit Absicht) ein paar Dinge übersehen habe.
Schon in der Anfangszeit der Kristalluntersuchungen mittels Röntgenstrukturanalyse hat man festgestellt, dass sich die Einheiten (Atome, Ionen, Moleküle), aus denen ein Kristall besteht, unter den gegebenen Bedingungen möglichst dicht packen. Warum tun sie das ?
Freie Enthalpie. Eine eher allgemeine Aussage weist auf die Antwort auf die wichtigste Frage hin : Die Freie Enthalpie eines möglichst dicht gepackten Ensembles von Teilchen ist geringer als die Freie Enthalpie anders gepackter Ensembles (vgl. Kapitel 4.2.2.). Aber was beeinflusst hier die Freie Enthalpie ?
Wie immer, Entropie und Enthalpie.
Entropie. DibenzolchromMoleküle sind nicht kugelförmig. Sie sind auch nicht turmförmig (wie ein Zylinder aussehend). Wir müssen also nicht darüber nachdenken, wie sich Türme anordnen. Ihre Form erinnert eher an eine Sanduhr. Zum Erreichen niedriger Freier Enthalpie ist eine hohe Entropie förderlich. Die Moleküle werden sich, soweit möglich, eher unregelmäßig anordnen. Und eine unregelmäßige Anordnung ist bei sanduhrförmigen Molekülen leicht möglich.
Enthalpie. Die Enthalpie des Systems DibenzolchromKristall sollte niedrig sein. Betrachte die Kräfte, die zwischen den Molekülen wirken. Wie bei neutralen Molekülen üblich, sind weder Atom noch Ionenbindungen vorhanden, auch keine Wasserstoffbrücken oder gar Metallbindungen. Es sind wieder die Ameisen unter den Bindungskräften, die vanderWaalsKräfte, die hier entscheidend sind (vgl. Kapitel xxx). Besonders von den Benzolringen mit ihren großen delokalisierten Orbitalen gehen sie aus.
Bild 3 : Elementarzelle der kubisch flächenzentrierten Kugelpackung, mit unterschiedlich gefärbten Kugeln.
Bild 4 : 4 DibenzolchromMoleküle, unterschiedlich ausgerichtet, Die Chromatome
liegen an den Positionen der Kugelpackung links mit gleicher Farbcodierung.
Untersuchen Sie den DibenzolchromKristall interaktiv in einer
JSmolVisualisierung.
Die DibenzolchromMoleküle sind unterschiedlich ausgerichtet.
Um die Kristallstruktur von Dibenzolchrom (Lit. L258) verstehen zu können, sehen wir uns erst noch einmal die Elementarzelle der kubisch flächenzentrierten (=kubisch dichtesten) Kugelpackung an. Sie enthält 4 Atome. In Bild 3 habe ich sie mit 4 Farben markiert.
Diese farbigen Atome stehen für Chromatome, und sie sind das Zentrum der DibenzolchromMoleküle. In Bild 4 sehen Sie 4 solcher Moleküle. Die Benzolringe sind schwarz, rot, grün und blau. Es sind natürlich immer Kohlenstoffatome, die farbig gezeichnet sind, aber so sieht man schnell, welches Molekül zu welcher Position in der Elementarzelle gehört. Und Sie sehen sofort, dass alle 4 Moleküle unterschiedlich ausgerichtet sind.
Bild 5 : 4 DibenzolchromMoleküle, längs einer Raumdiagonalen betrachtet. Sie blicken auf eines der Moleküle von oben, so dass nur einer der beiden Benzolringe sichtbar ist.
Bild 6 : 16 DibenzolchromMoleküle in einer Kalottendarstellung. Die scheinbar chaotische Anordnung ist doch optimal.
Art der Ausrichtung. Kann man etwas darüber sagen, wie die Moleküle ausgerichtet sind ? Ja. Sehen Sie sich Bild 5 an. Es scheint dort kein Würfel zu sein, sondern 6 tortenartig angeordnete Segmente. Tatsächlich ist es wieder der Würfel der Elementarzelle. Sie betrachten ihn in Richtung einer Raumdiagonale.
Und noch etwas scheint seltsam. Bei einem der DibenzolchromMoleküle sieht man nur einen Benzolring. Der Grund ist, dass Sie das Molekül senkrecht von oben betrachten, und der zweite Benzolring ist vom ersten verdeckt. Das DibenzolchromMolekül ist also exakt in Richtung einer Raumdiagonale der Elementarzelle ausgerichtet.
Jeder Würfel hat 8 Ecken und somit 4 Raumdiagonalen. Die Elementarzelle enthält 4 Chromatome, damit 4 DibenzolchromMoleküle, die alle unterschiedlich ausgerichet sind. Passt ! Jedes der 4 Moleküle in den 4 Farben ist an einer der 4 Raumdiagonalen ausgerichtet.
Raumerfüllung. Stellt man 2 Sanduhren nebeneinander, füllen sie den Raum nur zu einem geringen Teil aus. Geschickter ist es, die dünnen Stellen in der Mitte aneinander zu legen. Es sollen aber nicht nur zwei, sondern sehr viele sanduhrförmige DibenzolchromMoleküle in alle 3 Richtungen des Raums möglichst dicht gepackt werden, und neben der Geometrie soll auch die Freie Enthalpie optimal (niedrig) sein. Wie das geht, zeigt uns die Natur. In Bild 6 können Sie es sehen. Ich habe die Moleküle in einer Kalottendarstellung gezeichnet, die ihren tatsächlichen Platzbedarf zeigt. Sie sehen, dass die Moleküle den zur Verfügung stehenden Raum optimal nutzen. Die unterschiedliche, im ersten Moment chaotisch aussehende, aber doch sehr symmetrische Ausrichtung längs der Raumdiagonalen ist der Schlüssel dazu.
Untersuchen Sie Kristallstruktur, Ausrichtung und Raumerfüllung des DibenzolchromKristalls interaktiv in einer JSmolVisualisierung.
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