3.7. Modelle in der Chemie

Die Chemie ist voll von Modellen. Modelle sind die Grundlage der Chemie. Manche sagen, die Chemie ist die Wissenschaft, in der Modelle am intensivsten benutzt werden.

Über einige Modelle habe ich in den beiden vorigen Abschnitten bereits ausführlich geschrieben. Es sind Modelle vom Bau der Atome und einfache Modelle von Bindungen.

Andere Modelle, die für die Struktur der Stoffe wichtig sind, will ich in diesem Abschnitt vorstellen. Sie finden hier

3.7.1. Der reine Stoff

historisches Chemikalienetikett, Isophthalsäure, rein

Bild 1 : Ein Stoff, der rein heißt, aber kein Reinstoff ist. Welchen Reinheitsgehalt hat er wohl ? – Das Etikett stammt etwa aus den 1970er Jahren.

historisches Chemikalienetikett, Kobaltchlorid, reinst

Bild 2 : Reiner als rein muss es wohl sein. Laborerfahrung hilft, einzuschätzen, ob seine Reinheit für den vorgesehenen Zweck ausreicht.

historisches Etikett, Kaliumbikarbonat, besonders gereinigt

Bild 3 : Im Deutschen Arzneibuch kann man nachlesen, wie die Reinigung erfolgte. Historisches Etikett etwa aus den 1960er Jahren.

historisches Etikett der Firma Schering
historisches Etikett der Firma Schering mit Reinheitsanalyse

Bild 4 : Ein historisches Etikett der Firma Schering aus den 1920er Jahren und eine Reinheitsanalyse der damaligen Zeit. Was bedeutet das „Kahlbaum” ? 1927 deutsche Flagge übernahm Schering die Firma Kahlbaum und deren Produkte. Der Name wurde weiter benutzt, denn sicher waren die Kahlbaum–Waren bekannt und geschätzt.

Jemand entnimmt aus einer Chemikalienflasche ein paar Löffel Schwefel und gibt ihn in ein Reagenzglas. Er oder sie denkt vielleicht, dort wäre nun, außer etwas Luft, nur Schwefel und überhaupt nichts anderes, überhaupt kein anderer Stoff. Das ist ein Irrtum.

Dann lässt er oder sie aus dem Wasserhahn zuhause Wasser in ein Glas laufen und glaubt vielleicht, dort wäre nun, außer etwas Luft, nur Wasser, überhaupt nichts anderes. Das ist ein Irrtum.

Es gibt keinen reinen Stoff

Eigentlich sagt die Überschrift schon alles. Es gibt keinen reinen Stoff. Jeder Stoff enthält Verunreinigungen. Es können viel, wenig oder auch nur extrem wenig Verunreinigungen sein, aber sie sind immer in einem Stoff. Es ist egal, ob der Stoff natürlichen Ursrprungs ist oder ob er in einem technischen Verfahren von Menschen hergestellt wurde. Es ist auch egal, ob sich jemand Mühe gegeben hat, den Stoff zu reinigen, d.h. von seinen Verunreinigungen zu befreien, oder ob er gar „besonders gereinigt” wurde wie das Kaliumhydrogencarbonat auf Bild 3. Es sind noch Verunreinigungen darin. Und natürlich ist es völlig egal, ob ein Marketingexperte einen Stoff rein, kristallklar oder sonst irgendwie nennt.

Man könnte aber einwenden, dass man nur genug Aufwand treiben müsste. Dann würde man schon einen wirklich reinen Stoff erhalten, in dem kein einziges Atom eines Fremdstoffes mehr enthalten ist. Stellen wir uns also mal vor, es wäre gelungen, in das Wasserglas völlig reines Wasser zu füllen. Nun warten wir ein wenig, ein paar Millisekunden reichen, und sehen uns das Wasser erneut an.

An der Oberfläche hat das Wasser Kontakt zur umgebenden Luft. Auch ohne dass man umrührt oder sonstwie nachhilft, wird sich Luft darin lösen. Einige Moleküle der Luft haben bei ihrer regellosen Bewegung genug Energie, um in die Flüssigkeit zu gelangen. Dieser Vorgang heißt Diffusion, er findet oberhalb des absoluten Nullpunktes immer statt, und schon sind Stickstoff, Sauerstoff und all die anderen Bestandteile der Luft als Verunreinigungen im Wasser.

Das Wasser hat Kontakt zur umgebenden Glaswand. Glas löst sich wirklich nicht gut in Wasser, ein klein wenig aber doch. Reines Quarzglas hat eine Löslichkeit von etwa 0,006 g/l, und schon ist Kieselsäure (H4SiO4 oder die entsprechenden Ionen) im Wasser. Besteht das Glas aus gewöhnlichem Haushaltsglas, kommen noch Na+–Ionen und OH–Ionen dazu.

Und dann fällt noch etwas Staub ins Wasser. Er besteht aus … Hier breche ich ab, denn jetzt ist Ihnen klar, dass jeder Stoff mit seiner Umgebung in stofflichem Austausch steht, und es kommen Verunreinigungen hinein.

Das Modell Reinstoff

Welche Auswirkungen haben die Verunreinigungen in einem Stoff ? Eine klare Antwort auf diese klare Frage lautet : Es kommt drauf an. Oft ist es jedenfalls so, dass geringe Verunreingungen auch nur geringe Auswirkungen haben. Oft sind sie so gering, dass man sie vernachlässigen kann.

Wir sagen also Schwefel, meinen Schwefel mit geringen Verunreinigungen, und wissen, dass sich dieser Schwefel in seinen Eigenschaften und seinem Verhalten nur vernachlässigbar gering von reinem Schwefel unterscheidet.

Das Modell, das Bild der Wirklichkeit, das wir uns hier machen, ist also dieses : Wir sehen, wenn wir es vertreten können, einen real existierenden Stoff trotz seiner geringen Verunreinigungen als Reinstoff an. Wir schreiben dem nicht existierenden Reinstoff, dessen Eigenschaften und Verhalten wir nicht untersuchen können (es gibt ihn ja nicht), die Eigenschaften und das Verhalten des realen Stoffes zu.

Kann man es vertreten ?

Da habe ich eine kleine Falle in den vorigen Absatz eingebaut – „wenn man es vertreten kann”. Und, kann man ? Eine klare Antwort auf diese klare Frage lautet : Es kommt drauf an.

Die Hausfrau oder der Hausmann wird das Trinkwasser aus dem Wasserhahn als Reinstoff ansehen. Es macht für ihn oder sie keinen Unterschied. Chemikerinnen und Chemiker werden Leitungswasser nie als Reinstoff ansehen und höchstens zum Spülen benutzen. Die Inhaltsstoffe natürlichen Wassers (zum Beispiel Calciumionen, Carbonat– oder Hydrogencarbonat–Ionen und andere) können Reaktionen beeinflussen oder Nachweise verfälschen. Sie werden deionisiertes Wasser oder gar destilliertes Wasser benutzen und wissen um die immer noch darin befindlichen Stoffe.

Um Silizium in der Halbleitertechnik verwenden zu können, muss der Gehalt an Bor und Phosphor unter 0,1 – 1 ppb (das sind 10–10 bzw. 10–9) liegen. Weniger reines Silizium kann aber für andere Zwecke eingesetzt werden.

Für die Benutzung im Labor haben sich Standardanforderungen an die benutzten Stoffe (Chemikalien) herausgebildet. Stoffe, die man bei Synthesereaktionen verwenden kann, bezeichnet man gern mit dem Wort rein. Solche, die erhöhten Anforderungen an die Reinheit genügen, nennt man reinst. Die Bilder 1 und 2 zeigen historische Etiketten von Chemikalienflaschen, etwa aus den 1970er Jahren, mit damals üblichen Reinheitsbezeichnungen.

Geschickt und eigentlich unverzichtbar ist es, nicht nur die Reinheit anzugeben, sondern auch die Verunreinigungen und deren Konzentration, wie in Bild 4.

 

Der Reinstoff (ohne jegliche Verunreinigungen) ist ein, meist gutes, Modell für reale Stoffe mit nur geringen Verunreinigungen.

3.7.2. Ein Atom ist eine feste Kugel

Stahlkugel in Schieblehre

Bild 5 : Stahlkugel – ein starrer Körper mit messbarem Durchmesser.

Plastikkugeln als Atommodell

Bild 6 : Schultypische Atome.

Die meisten Menschen stellen sich Atome als kleine Kugeln vor, ähnlich einer Billard– oder Tischtenniskugel, nur eben kleiner. Und, ohne dass sie es sagen oder sich bewusst machen, denken viele, ein Atom ist nicht nur eine Kugel, sondern eine feste Kugel, etwa so wie die Stahlkugel in Bild 5.

In der Schule lernen die meisten ein Atommodell zum Anfassen kennen. Die Atome sind dort feste Plastikkugeln, die man nicht (zumindest nicht ohne Anwendung großer Kräfte) verformen kann. Bild 6 zeigt eine Gruppe solcher „Plastikatome”.

Wen wundert es, dass die Vorstellung, Atome seien feste, starre Kugeln, so weit verbreitet ist ?

Tatsächlich ist diese Vorstellung ein Modell.

hard–sphere–Modell des Atoms /
rigid–body–Modell des Atoms :
      Atome sind feste starre Kugeln.

Kurzbeschreibung

Atome werden als starre (nicht verformbare) Kugeln mit einem festen Durchmesser angesehen. Englische Namen des Modells sind hard–sphere–Modell und rigid–body–Modell.

 

Der Unterschied zwischen Modell und Wirklichkeit

Das Modell macht 2 Aussagen über Atome.

Ich werde zuerst über die zweite Aussage schreiben, denn dieser so harmlos aussehende Satz hat erstaunliche Konsequenzen.

Die Größe von Dingen. – Für die meisten von uns ist es absolut selbstverständlich, dass alle Gegenstände eine Größe haben, die man messen und dann angeben kann. So hat zum Beispiel die Stahlkugel in Bild 5 einen Durchmesser von 9,49 mm, gemessen mit einer Schieblehre.

Fußnote 1 : Die makroskopische Welt ist die Welt der Gegenstände um uns herum, die so groß sind, dass man sie anfassen oder wenigstens unter einem Mikroskop betrachten kann. Der Gegensatz ist die mikroskopische Welt, in der man die kleinsten Teilchen (Atome, Ionen und Moleküle) betrachtet.

Was soll daran Modell sein ? Das ist doch die Realität, werden Sie vielleicht sagen. In der makroskopischen Welt (→ Fußnote 1) ist das richtig. Von einer Ausnahme abgesehen, die ich bald vorstellen werde, ist mir kein Gegenstand eingefallen, der keine bestimmbare Größe hat.

Fußnote 1 : Die makroskopische Welt ist die Welt der Gegenstände um uns herum, die so groß sind, dass man sie anfassen oder wenigstens unter einem Mikroskop betrachten kann. Der Gegensatz ist die mikroskopische Welt, in der man die kleinsten Teilchen (Atome, Ionen und Moleküle) betrachtet.

 

Elektronendichte. – Bei Atomen ist das anders.

Fußnote 2 : Auch diese Vorstellung ist ein Modell. Sie gehört zum Orbitalmodell des Atoms, Kapitel 3.5.8.

Fußnote 3 : Die Darstellungen sind idealisiert. Sie zeigen ein Wasserstoffatom im Grundzustand, bei dem nur das 1s–Orbital besetzt ist. Andere Atome besitzen viele Orbitale, in denen sich viele Elektronen befinden. Dadurch ist die Verteilung der Elektronen nicht mehr kugelförmig, sondern komplex geformt. Unverändert bleibt der kontinuierliche Übergang und die Tatsache, dass die Elektronendichte nie Null wird.

Die Atomhülle aller Atome besteht aus Elektronen. Diese bewegen sich in einem Raum um den Atomkern (→ Fußnote 2). Für jeden Punkt des Raumes kann man eine Wahrscheinlichkeit angeben, mit der sich ein bestimmtes Elektron dort aufhält. Ist sie hoch (das heißt, das Elektron ist oft an dieser Stelle), sagt man, dort ist die Elektronendichte hoch. Ist sie niedrig (das Elektron ist selten dort), sagt man, die Elektronendichte ist niedrig.

Man kann die Elektronendichte als Funktion beschreiben. Bild 7a zeigt einen typischen Verlauf (→ Fußnote 3). Nahe beim Atomkern ist sie hoch, nach außen zu nimmt sie kontinuierlich ab. Jedoch wird die Elektronendichte niemals null, auch in sehr großer Entfernung vom Atom nicht.

Fußnote 2 : Auch diese Vorstellung ist ein Modell. Sie gehört zum Orbitalmodell des Atoms.

Fußnote 3 : Die Darstellungen sind idealisiert. Sie zeigen ein Wasserstoffatom im Grundzustand, bei dem nur das 1s–Orbital besetzt ist. Andere Atome besitzen viele Orbitale, in denen sich viele Elektronen befinden. Dadurch ist die Verteilung der Elektronen nicht mehr kugelförmig, sondern komplex geformt. Unverändert bleibt der kontinuierliche Übergang und die Tatsache, dass die Elektronendichte nie Null wird.

 

In Bild 7b ist die abnehmende Elektronendichte durch einen Farbverlauf veranschaulicht. Nahe beim Atomkern ist die Farbe intensiv, nach außen zu nimmt die Intensität ab.

Elektronendichte im Atom als Funktion Ein Atom hat keine äußere Grenze

Bild 7 : Elektronendichte eines Atoms in Abhängigkeit von der Entfernung zum Kern (idealisiert) – a.) als Funktion – b.) als Farbverlauf.

Bild 7 zeigt also, dass sich das Elektron nur selten weit außen aufhält. Je weiter vom Kern entfernt, umso seltener ist es dort. Es gibt aber keinen letzten, äußersten Punkt, den das Elektron nie überschreitet. Es gibt also auch keinen letzten, äußersten Punkt, an dem das Atom aufhört. Das Atom geht an seiner Außengrenze kontinuierlich ins Nichts über. Es hat keine feste Grenze.

Nun ja, zumindest theoretisch ist das so. Praktisch kann man durchaus eine Entfernung vom Atomkern benennen, jenseits derer das Elektron so selten ist, dass sein Aufenthalt dort ganz draußen keine messbare Auswirkungen auf irgend etwas hat.

In Bild 7a habe ich durch eine rote Linie eine Grenze des Atoms festgelegt. Natürlich ist diese Festlegung willkürlich, aber ich habe versucht, sie so zu wählen, dass sie Sinn macht. Rechts von der Linie ist die Elektronendichte so niedrig, dass dort, nach meiner Meinung, nichts Relevantes mehr ist. Und sicher gibt es gute Gründe für andere Festlegungen.

Aber wo ist in Bild 7b die Grenze des Atoms ? Sie ist, nicht willkürlich, sondern zufällig, durch die Drucktechnik gegeben. Eigentlich soll der Farbverlauf sich endlos hinziehen, er soll niemals die Hintergrundfarbe annehmen, so wie die Funktion in Bild 7a nie Null wird. Aber das ist drucktechnisch nicht machbar. Eine gewisse Mindestmenge an Farbe muss aufgetragen werden, und so hat das makroskopische Bild des Atoms doch eine Grenze.

Es ist wirklich schwierig, ein Atom ohne Grenze zu zeichnen, und genauso schwer, es sich vorzustellen. Gibt es vielleicht doch eine Analogie in der bekannten Welt, ein Objekt ohne Grenze ?

Ja.

Fußnote 4 : Die Dichte der Erdatmosphäre hängt nicht nur von der Höhe über dem Meeresspiegel ab, sondern auch von der Temperatur (die sich ebenfalls mit der Höhe verändert), der Luftfeuchtigkeit und dem Wettergeschehen.

Lufthülle als Analogie. – Es ist die Lufthülle der Erde. Ihre Dichte beträgt auf der Höhe des Meeresspiegels etwa 1,2 g/l. Mit zunehmender Höhe nimmt diese Dichte annähernd (→ Fußnote 4) exponentiell ab.

Fußnote 4 : Die Dichte der Erdatmosphäre hängt nicht nur von der Höhe über dem Meeresspiegel ab, sondern auch von der Temperatur (die sich ebenfalls mit der Höhe verändert), der Luftfeuchtigkeit und dem Wettergeschehen.

 

Fußnote 5 : Die Fédération Aéronautique Internationale (FAI) hat die Grenze der Atmosphäre bei 100 km, einer praktischen runden Zahl, gesetzt, um Luft– von Raumfahrt unterscheiden zu können, und Kármán–Linie genannt. Beim US–Militär liegt sie bei 50 Meilen. Aber auch in 400 km Höhe, der Flughöhe der Raumstation ISS, ist noch ein wenig Atmosphäre vorhanden. Als Exosphäre wird der äußerste Bereich der Atmosphäre bezeichnet. Er reicht, so hat man es definiert, bis in etwa 10.000 km Höhe, obwohl sich auch noch weiter draußen einzelne Atome aufhalten, die man der Erdatmosphäre zurechnen kann.

Was bedeutet das ? Die Exponentialfunktion, die die Dichte beschreibt, nimmt, wie es bei solchen Funktionen oft vorkommt, schnell ab, wird aber nie Null. Genauso wird die Dichte selbst immer geringer, das heißt, die Atmosphäre wird dünner und dünner, schließlich unmessbar dünn. Aber eine real vorhandene Grenze besitzt die Atmosphäre nicht, genausowenig wie ein Atom. In diesem Punkt sind beide vergleichbar.

Andererseits kann man, natürlich willkürlich, eine Grenze der Atmosphäre definieren, genauso wie man eine Grenze eines Atoms definieren kann. Für die Atmosphäre hat man das schon mehrfach gemacht (→ Fußnote 5), genauso wie für Atome. Auch hier sind beide vergleichbar. Mehr zu den „Grenzen” von Atomen im nächsten Abschnitt.

Fußnote 5 : Die Fédération Aéronautique Internationale (FAI) hat die Grenze der Atmosphäre bei 100 km, einer praktischen runden Zahl, gesetzt, um Luft– von Raumfahrt unterscheiden zu können, und Kármán–Linie genannt. Beim US–Militär liegt sie bei 50 Meilen. Aber auch in 400 km Höhe, der Flughöhe der Raumstation ISS, ist noch ein wenig Atmosphäre vorhanden. Als Exosphäre wird der äußerste Bereich der Atmosphäre bezeichnet. Er reicht, so hat man es definiert, bis in etwa 10.000 km Höhe, obwohl sich auch noch weiter draußen einzelne Atome aufhalten, die man der Erdatmosphäre zurechnen kann.

 

Im hard–sphere–Modell hat ein Atom eine feste, messbare Grenze, wie die Gegenstände des Alltags.

Verformbarkeit des Atoms. – Eben haben Sie erfahren, dass ein Atom eigentlich keine feste Grenze hat. Wenn man ihm aber eine solche Grenze zuschreibt, wird es zu einer festen, nicht verformbaren Kugel. Das ist die Kernaussage des hard–sphere–Modells, und sie ist nun begründet.

Nutzen des Modells

Was kann man mit dem hard–sphere–Modell erklären ? Eine ganze Menge. Hier sind ein paar Beispiele.

Was kann man mit dem hard–sphere–Modell nicht erklären ? Ein paar wichtige Dinge, zum Beispiel

3.7.3. Ein Atom hat immer denselben Radius

Die Stahlkugel in Bild 5 hat immer denselben Radius, egal ob sie auf dem Tisch liegt oder durch die Luft fliegt, egal ob sie von Luft, Wasser, anderen Kugeln oder sonst irgend etwas umgeben ist. Und auch die Plastikkugeln aus Bild 6, die in der Schule gern als Stellvertreter von Atomen benutzt werden, haben einen unveränderlichen Radius. Warum also sollte es bei echten Atomen anders sein ?

Fußnote 6 : Von solchen isolierten Atomen geht man im idealen Gas aus, jedoch ist auch dies ein Modell. In der Realität kann man auch die Atome von Gasen bei niedrigem Druck, zum Beispiel dem gewöhnlichen Luftdruck, näherungsweise als isoliert ansehen.

Ein Argument habe ich im vorigen Abschnitt genannt. Ein Atom hat gar keinen festen Radius, und jede Festlegung eines Radius ist willkürlich. Bei einzelnen, isolierten Atomen ohne Nachbarn (→ Fußnote 6) kann man es so sehen.

Fußnote 6 : Von solchen isolierten Atomen geht man im idealen Gas aus, jedoch ist auch dies ein Modell. In der Realität kann man auch die Atome von Gasen bei niedrigem Druck, zum Beispiel dem gewöhnlichen Luftdruck, näherungsweise als isoliert ansehen.

Atome in Flüssigkeiten und Festkörpern haben im Gegensatz dazu Nachbarn in ihrer Nähe. Hier ist eine andere Betrachtungsweise sinnvoller. Ein Atom hört da auf, wo sein Nachbar anfängt. Oder exakter gesagt : Der Radius eines Atoms ist die Hälfte des Abstands zwischen 2 Atomen (natürlich vom gleichen Element).

Da stellt sich sofort die Frage, wie groß denn der Abstand zweier Atome ist. Eine klare Antwort auf diese klare Frage lautet : Es kommt drauf an.

Gleichgewicht. – Es kommt auf die Kräfte an, die zwischen den kleinsten Teilchen wirken. Es gibt Anziehungskräfte und abstoßende Kräfte. Diese können unterschiedliche Ursachen haben, sie können unterschiedliche Stärke haben und in unterschiedlicher Weise mit der Entfernung abnehmen.

Bei einem bestimmten Abstand zwischen 2 gegebenen Teilchen sind die anziehenden und die abstoßenden Kräfte gleich stark, es liegt ein Gleichgewicht vor. Diesen Abstand nehmen die beiden Teilchen dann tatsächlich an, und man kann ihn in 2 (nicht notwendig gleichgroße) Teile teilen. Man hat die Atomradien erhalten.

Einige Kräfte wirken immer zwischen Atomen. Dazu gehören

Kurzbeschreibung des Modells. – Einen einzigen Atomradius für ein Element anzugeben, wäre ein allzu einfaches Modell.

Statt dessen definiert man eine Handvoll verschiedener Radien, je nachdem, welche der abstoßenden und anziehenden Kräfte wirken, und benutzt gerade den, der passt.

van–der–Waals–Radius
Atome in festem Xenon

Bild 8 : In festem Xenon haben die Atome einen Abstand von 440 pm.

Zu Beginn betrachte ich Stoffe, zwischen deren Atomen nur die 3 eben genannten Kräfte wirken. Solche Stoffe sind selten. Außer den Edelgasen gibt es keine.

Die Atome der Edelgase bilden im festen Zustand eine dichteste Kugelpackung (mehr darüber in Kapitel 7.3). Einen zweidimensionalen Ausschnitt einer solchen Packung des Edelgases Xenon zeigt Bild 8. Sie sehen, dass der Abstand zwischen 2 Xenon–Atomen 440 pm beträgt. Ein Xenon–Atom hat also einen Radius von 220 pm.

Man nennt diesen Radius den van–der–Waals–Radius von Xenon.

Obwohl die eben beschriebene Situation ausgesprochen selten ist, haben van–der–Waals–Radien doch eine große Bedeutung. Immer wenn zwischen 2 Atomen als Anziehungskräfte nur die Dispersionskräfte vorhanden sind (das kommt zwischen Atomen benachbarter Moleküle recht oft vor), nennt man den Raum, den eines der Atome einnimmt, seinen van–der–Waals–Radius.

Der van–der–Waals–Radius eines Elements ist nicht konstant, sondern kann in engen Grenzen schwanken, abhängig von der Umgebung des Atoms.

kovalenter Radius
Atome in festem Iod

Bild 9 : In festem Iod haben gebundene Atome einen Abstand von 268 pm, nicht gebundene, benachbarte Atome von 449 pm.

Sehr häufig kommt es vor, dass Atome (des gleichen oder verschiedener Elemente) durch eine Atombindung verbunden sind.

Zum Beispiel beträgt der Abstand der beiden Kohlenstoffatome in einer C–C–Einfachbindung 154 pm. Er nimmt in den meisten Verbindungen, die eine solche Bindung besitzen, diesen Wert an. Analog ist die Länge einer C–C–Doppelbindung 134 pm. Man kann also den Radius eines Kohlenstoffatoms zu 77 pm bzw. 67 pm ansehen, je nachdem ob es an ein anderes Atom mittels einer Einfach– oder einer Doppelbindung gebunden ist.

Kennt man den Radius des Kohlenstoffatoms, kann man auf andere Elemente schließen. Der Abstand der beiden Atome in einer C–O–Einfachbindung beträgt in der Regel 143 pm. Damit kommt dem Sauerstoffatom ein Radius von 66 pm zu.

Auf diese Weise kann man eine Tabelle aller Radien von Atomen aufstellen, die mit anderen Atomen durch eine Atombindung verbunden sind. Diese Radien nennt man die kovalenten Radien der jeweiligen Elemente. Sie unterscheiden sich deutlich für unterschiedliche Bindungsordnung (Einfach–, Doppel–, Dreifach– oder andere Bindung), schwanken sonst aber nur wenig.

Fußnote 7 : In Lit. L–12, S. 336 ist er mit 195 – 212 pm angegeben, also etwas weniger als hier. Es sieht so aus, als könnten sich die Moleküle im Iodkristall nicht optimal packen und hätten dadurch etwas mehr Abstand.

Bild 9 zeigt den Unterschied zwischen van–der–Waals– und kovalentem Radius. Im Iodkristall liegen Iodmoleküle aus 2 Iodatomen (mit der Formel I2) vor. Diese beiden Atome sind 268 pm voneinander entfernt, der kovalente Radius von Iod beträgt also 134 pm. Die Entfernung der Iodatome benachbarter Iodmoleküle beträgt 449 pm, und das ist das Doppelte des van–der–Waals–Radius von Iod (→ Fußnote 7).

Fußnote 7 : In Lit. L–12, S. 336 ist er mit 195 – 212 pm angegeben, also etwas weniger als hier. Es sieht so aus, als könnten sich die Moleküle im Iodkristall nicht optimal packen und hätten dadurch etwas mehr Abstand.

Ionenradius

Viele Stoffe sind aus Ionen aufgebaut.

Die Zahl der stärksten Kräfte, die zwischen Ionen wirken, ist überschaubar. Es sind zwei. Die eine ist die elektrostatische Anziehung zwischen entgegengesetzt geladenen Ionen (auch Coulomb–Kraft genannt), das andere ist die elektrostatische Abstoßung der (immer negativ geladenen) Elektronenhüllen. Beide nehmen mit zunehmender Entfernung ab, jedoch unterschiedlich stark. Bei einer bestimmten Entfernung zwischen den Ionen sind beide gleich. Dies ist dann auch der Abstand der Ionen im Kristall.

Ionenbindung

Bild 10 : In festem Natriumchlorid haben benachbarte Ionen einen Abstand von 283 pm. Aber welches Ionenpaar gibt die korrekten Größen­verhältnisse wieder ?

Weniger überschaubar ist die Stärke der beiden Kräfte. Sie hängt zum einen von der Ladung der Ionen ab, und diese Ladung ist in einer Verbindung nicht unbedingt eine ganze Zahl (→ mehr zu diesem Thema in Kap. 3.7.4.). Zum anderen hängt sie von der Umgebung der Ionen ab, und die ist bei verschiedenen Stoffen oft sehr unterschiedlich.

Was bedeutet das für die Größe der Ionen, also den Ionenradius ?

Dazu ein Beispiel. Natriumchlorid (NaCl) besteht aus Na+– und aus Cl–Ionen.

Bild 10 zeigt die auftretenden Probleme. Der Abstand zwischen den beiden Ionen (dem violett gezeichneten Natrium–Ion und dem grün gezeichneten Chlor–Ion) beträgt 283 pm. Das kann man (relativ) leicht messen. Aber welcher Teil dieses Abstands entfällt auf das Na+–Ion, welcher auf das Cl–Ion ? Ich habe 3 Ionenpaare gezeichnet. Die Summe der Radien ist immer 283 pm, aber die Größe der Ionen unterschiedlich. Gibt ein Teil der Zeichnung die Realität wieder ?

Ionenradien zu bestimmen ist eine schwierige Aufgabe.

Was nicht geht (im Gegensatz zum van–der–Waals– und dem kovalenten Radius), ist das Nebeneinanderlegen zweier gleicher Ionen. Die hätten ja die gleiche Ladung und würden sich abstoßen. In jeder Ionenverbindung sind immer unterschiedlich geladene Ionen benachbart.

Fußnote 8 : Dazu versucht man, den Punkt zwischen den beiden Zentren (Kernen) der Ionen zu messen, an dem weder positive noch negative Ladung vorhanden ist, der somit die Grenze zwischen den beiden Ionen darstellt. Über die Schwierigkeiten dieser Aufgabe werde ich schweigen.

Es ist sehr aufwendig und nur in Einzelfällen machbar, aus der Summe zweier Ionenradien die einzelnen Radien zu bestimmen (→ Fußnote 8).

Fußnote 8 : Dazu versucht man, den Punkt zwischen den beiden Zentren (Kernen) der Ionen zu messen, an dem weder positive noch negative Ladung vorhanden ist, der somit die Grenze zwischen den beiden Ionen darstellt. Über die Schwierigkeiten dieser Aufgabe werde ich schweigen.

Hat man das geschafft, kennt man nicht etwa die Größe eines Ions (zum Beispiel des Na+–Ions), sondern nur die Größe des Ions in der untersuchten Verbindung. In anderen Stoffen (in denen es eine andere Ladung oder eine andere Umgebung hat) wird es auch einen anderen Radius haben.

Trotzdem hat man Tabellen von Ionenradien aufstellen können. In Lit. L–12 und Lit. L–200 finden Sie zwei.

Ach ja, Na+–Ionen haben im Natriumchlorid einen Radius von 116 pm, Cl–Ionen von 167 pm. Das mittlere Ionenpaar in Bild 10 gibt die Verhältnisse korrekt wieder.

metallischer Radius

Für Metalle wird ein weiterer Radius, der metallische Radius angegeben.

Kleinsten Teilchen kann man, abhängig von Bindung und Umgebung, Radien zuschreiben :
xxxxxx van–der–Waals–Radius
xxxxxx kovalente Radien
xxxxxx Ionenradien
xxxxxx metallischer Radius

Was kann man mit dem Modell erklären ?

In der Regel schließt man in der anderen Richtung als hier beschrieben. Die Radien werden gemessen. Aus den Radien schließt man auf Bindungsart, Bindungsordnung, Ladung. Zusammen mit ihrer Erfahrung gelingt das den Forschenden erstaunlich gut.

3.7.4. Ein Ion hat immer eine ganzzahlige Ladung

Ein Natriumatom gibt ein Elektron ab, es entsteht ein Natriumion. Ein Chloratom nimmt das Elektron auf, es entsteht ein Chlorion. Die beiden Ionen ziehen sich an und bilden ein Ionenpaar. Weitere Natrium– und Chlorionen lagern sich an, bis schließlich ein Ionenkristall entsteht.

So oder so änhlich lernt man es in der Schule, und alle stellen sich vor, dass alle Ionenkristalle nach diesem Muster aufgebaut sind. Warum auch nicht ? Was spricht denn dagegen ?

Erst mal nichts. Die Überlegungen von eben stellen ein Modell der Bildung eines Ionenkristalls dar, dass in vielen Fällen die Realität gut beschreibt.

Jedoch steckt in diesem Modell eine nicht ausgesprochene Annahme : Nicht nur die Ionen, aus denen sich der Kristall bildet, tragen exakt eine positive oder negative Ladung, sondern auch im entstandenen Kristall ist das so. Die Frage stellt sich : Ist das wirklich so ? Und die klare Antwort auf die klare Frage lautet wie so oft : Es kommt drauf an.

Fußnote 9 : Diese Unteilbarkeit gilt für Vorgänge, die in der Chemie und in der klassischen Physik untersucht werden. Moderne Theorien der Physik gehen von einem komplexen Aufbau der klassischen Elementarteilchen aus.

Das zeitliche Mittel. – Am Anfang der Diskussion steht eine grundsätzliche Frage : Kann ein Ion überhaupt eine nicht ganzzahlige Ladung (zum Beispiel eine halbe oder dreiviertel Ladung) besitzen ? Die Träger der Ladung sind Elektronen, und die sind als Elementarteilchen unteilbar (→ Fußnote 9).

Fußnote 9 : Diese Unteilbarkeit gilt für Vorgänge, die in der Chemie und in der klassischen Physik untersucht werden. Moderne Theorien der Physik gehen von einem komplexen Aufbau der klassischen Elementarteilchen aus.

Die Lösung des Widerspruchs ist das zeitliche Mittel. Hält sich ein Elektron zu 90 % der Zeit bei dem einen Ion und zu 10 % bei einem anderen Ion auf, so hat das erste Ion eine Ladung von 0,9 einer Elektronenladung, das zweite eine Ladung von 0,1 (oder 10 %) der Elektronenladung.

Die Frage, wie dieser Aufenthalt von Elektronen zu verstehen ist, und über welche Zeiträume der Mittelwert gebildet wird, werde ich später (in Kapitel xxx) beantworten.

Modell der ganzzahligen Ionenladung :
Atome sind entweder elektrisch neutral oder tragen eine ganzzahlige Ladung.

Kurzbeschreibung

Fußnote 10 : Mit dem Begriff „ganzzahlige Ladung” ist eine Ladung gemeint, die ein ganzzahliges Vielfaches der Elementarladung, d.h. der Ladung eines Elektrons ist. Diese Elementarladung beträgt 1,602176634 ⋅ 10–19 C .

Man geht davon aus, dass in Stoffen alle Atome entweder elektrisch neutral sind, oder dass jedes Atom eine ganzzahlige Ladung (→ Fußnote 10) besitzt. Im zweiten Fall nennt man das Atom ein Ion.

Fußnote 10 : Mit dem Begriff „ganzzahlige Ladung” ist eine Ladung gemeint, die ein ganzzahliges Vielfaches der Elementarladung, d.h. der Ladung eines Elektrons ist. Diese Elementarladung beträgt 1,602176634 ⋅ 10–19 C .

Der Unterschied zwischen Modell und Wirklichkeit

Ich werde ihn an 2 Beispielen illustrieren, an denen auch gleich der Nutzen des Modells klar wird.

Salze

Bei der Beschreibung von Salzen wird dieses Modell fast immer benutzt. Die Ansicht ist verbreitet, es beschreibt Salze gut.

Eines der wichtigsten und bekanntesten Salze ist Natriumchlorid (Formel NaCl). Ich benutze es als Prototyp für alle Salze. Die Aussagen in diesem Abschnitt gelten also (eventuell mit graduellen Abweichungen) auch für andere Salze.

Gelöste Salze. – Oft kommen Salze in gelöstem Zustand vor. Denken Sie zum Beispiel an etwas Salz, dass Sie in die Suppe (oder wie die Amerikaner ins Bier) geschüttet haben. Es ist dort gelöst.

2 solvatisierte Ionen

Bild 11 : Ein negativ geladenes Ion (links, rot gezeichnet) und ein positiv geladenes Ion sind von einer Hydrathülle (gezeichnet sind 3 bzw. 4 Wassermoleküle, die eine gewinkelte Form besitzen) umgeben. Zwischen den Ionen ist aufgrund der Entfernung kein Ladungsaustausch möglich, beide tragen exakt eine Elementarladung. Die Darstellung ist schematisch.

In dieser Lösung sind die einzelnen Ionen (bei Natriumchlorid also die Natriumionen und die Chlorionen) von einer Hydrathülle (einer Hülle aus Wassermolekülen) umgeben. Dadurch sind sie voneinander isoliert, und Elektronen können nicht von einem zum anderen Ion wandern. Auch über einen längeren Zeitraum betrachtet, trägt daher das Natriumion immer eine positive Ladung (sie rührt von dem Elektron her, dass es abgegeben hat), und das Chlorion trägt immer eine negative Ladung (vom Elektron, dass es aufgenommen hat). Bild 11 zeigt schematisch ein negatives und ein positives Ion, die von einer Hydrathülle umgeben sind. Bei gelösten Salzen beschreibt das Modell die Wirklichkeit exakt.

Gasförmige Salze. – Das ist nichts, mit dem man aus dem Alltag vertraut ist. Natriumchlorid hat einen Siedepunkt von etwa 1460 °C, und bei höheren Temperaturen liegen tatsächlich Natriumchlorid–Moleküle vor (neben einigen größeren Einheiten).

2 Moleküle, deren Atome Teilladungen tragen

Bild 12 : 2 Moleküle, die sich jeweils aus einem negativ und einem positiv geladenen Ion gebildet haben. In beiden Molekülen haben die Ionen keine ganze Elementarladung mehr, daher sind sie auch nicht kräftig rot oder blau wie in Bild 11.
Im linken Molekül haben sie immerhin noch eine deutliche Teilladung (vielleicht 75 % der Elementarladung) und sind blass rot oder blau gezeichnet. Dies entspricht etwa der Situation im Natriumchlorid.
Im rechten Molekül tragen die Ionen nur noch eine sehr schwache Teilladung, (vielleicht 20 % der Elementarladung) und sind sehr blass gezeichnet. Man sollte sie nicht mehr Ionen nennen. Dies entspricht der Situation im Chlorwasserstoff.
Die Darstellung ist schematisch.
 

Auf ein solches Molekül kann man das Konzept der Elektronegativität (vgl. Kap. xxx) anwenden. Es gibt mehrere Methoden, mit denen man versuchen kann, die Ionizität (den Anteil des Ionencharakters) der Bindung oder die Ladung der Natrium– und Chlorteilchen zu berechnen. Keine der Methoden ist perfekt, aber man erhält Ergebnisse für die Ionizität von 70 bis 75 % und für die Ladung der Teilchen von etwa 60 % der Elementarladung. Das ist weit von der Modellvorstellung entfernt, und man kann das Modell auf diesen Fall sicher nicht anwenden. Aber wann hat man schon mit gasförmigen Salzen zu tun ?

Eine verbreitete Formel (von Linus Pauling) zur Berechnung des Ionencharakters lautet
Ionencharakter = 1 – exp ( –0,25 ( Ea – Eb )2 ).
Dabei ist exp die bekannte Exponentialfunktion f(x) = ex, und Ea und Eb sind die Elektronegativitäten der beteiligten Elemente (→ Fußnote 11). Diese Formel werde ich auf meinen Seiten immer wieder zur Berechnung des Ionencharakters benutzen.

Fußnote 11 : Im Huheey (L–12) finden Sie auf S. 227–229 Ausführungen zur Berechnung der Partialladungen (Teilladungen), und in seinem klassischen Buch legt der damals einflussreiche Linus Pauling (L–55) in Kapitel 3 seine Überlegungen zum Ionencharakter von Bindungen dar und teilt auf S. 94 die eben genannte Formel mit.

Der linke Teil von Bild 12 illustriert die Situation.

Kristalline Salze. – So kennt man das Natriumchlorid (Kochsalz) aus dem Salzstreuer, und auch die anderen Salze sind bei Raumtemperatur fest und kristallin. Die Kristalle bestehen aus Ionen in regelmäßiger Anordnung.

Die Partialladungen der Natrium– und der Chlorionen haben dieselbe Größenordnung wie in den Molekülen im vorigen Abschnitt (L–55, S. 494).

Ausschnitt aus einem Ionenkristall

Bild 13 : Ausschnitt aus einem Kristall (schematisch). Er ist aus Ionen gebildet, die keine ganze Elementarladung, aber doch eine deutliche Teilladung (vielleicht 75 % der Elementarladung) tragen und daher blass rot oder blau (wie in Bild 12) gezeichnet sind. Dies entspricht etwa der Situation im Natriumchlorid.

Auch hier, im Natriumchloridkristall, gilt also, dass die Ionen keine ganze Elementarladung tragen, und dass die Bindung keine reine Ionenbindung ist. Trotzdem wird sie immer wieder so beschrieben, und man arbeitet immer wieder mit diesem Modell. Der Grund ist, dass das Modell tragfähig ist. Man kann Kristalle von Salzen in vieler Hinsicht korrekt mit einem Modell beschreiben, in dem die Ionen ganze Elementarladungen besitzen und die Bindung eine reine Ionenbindung ist. Als Faustregel wird oft genannt, dass man dies bei einer Ionizität (einem Ionencharakter) von mehr als 70 % tun kann.

Bild 13 illustriert die Situation.

Chlorwasserstoff (Salzsäure)

Eine der gängigsten Laborchemikalien ist Salzsäure. Es ist eine Lösung von Chlorwasserstoff (HCl) in Wasser.

Aus welchen kleinsten Teilchen sind Chlorwasserstoff und Salzsäure aufgebaut ? Chlorwasserstoff ist eine starke Säure, das heißt, die Moleküle geben H+–Ionen ab, sobald sie Gelegenheit dazu haben. Kommt Chlorwasserstoff (es ist bei Raumtemperatur ein Gas) in Kontakt mit Wasser, ist diese Gelegenheit gegeben. Das HCl–Molekül gibt ein H+–Ion ab (Das H+–Ion reagiert mit einem Wassermolekül zu einem Hydronium–Ion (oft Oxonium genannt) mit der Formel H3O+.). Oft denkt man, dieses H+–Ion muss schon vorher im HCl–Molekül vorhanden gewesen sein, denn das Molekül kann doch nur etwas abgeben, was es besitzt.

Wie im vorigen Abschnitt kann man die Ionizität der Bindung im HCl–Molekül und die Partialladungen der kleinsten Teilchen berechnen. Man erhält eine Ionizität von etwa 20 % und Partialladungen von etwa 20 % einer Elementarladung. Im HCl–Molekül liegt also eine schwach polare Bindung vor. H+–Ionen oder Cl–Ionen sucht man dort vergeblich.

Der rechte Teil von Bild 12 illustriert die Situation.

Oxidationszahlen

Wenn Sie wissen, was Sie tun, ist es in Ordnung. Natürlich kann man beim Sulfat–Ion (SO42–) an das Schwefelatom eine VI schreiben, und an andere Atome andere Zahlen. Und natürlich kann man in einem formalen Verfahren diese Zahlen benutzen, um Reaktionsgleichungen aufzustellen.

Nur sollte man nicht glauben, dass diese Zahlen die Ladung der Atome angeben, an denen sie stehen. Ganz sicher ist das Schwefelatom im Sulfation nicht sechsfach positiv geladen.

Nutzen des Modells

Was kann man mit dem Modell der ganzzahligen Ionenladung erklären ?

Was kann man mit dem Modell der ganzzahligen Ionenladung nicht erklären ?

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