4.2. Kinetik

4.2.1. Aktivierungsenergie

 

Demnächst bearbeite ich diesen Abschnitt weiter.

Es kann aber noch etwas dauern.

 

4.2.2. Die wichtigste Frage – die Antwort

Die Formulierung der Frage

Ganz zu Beginn dieses Kapitels hatte ich eine Frage in den Raum gestellt und als die wichtigste dieses Projekts benannt.

Frage – statisch : Warum nimmt ein Stoff gerade die Struktur an, die er eben annimmt, und keine andere ?

Ich hatte die Frage damals statisch formuliert, denn so bezog sie sich auf den Namen des Projekts.

Später, in den beiden Zwischenbilanzen (Kapitel 4.1.5. und Kapitel 4.1.9.) und auch an anderen Stellen des Kapitels, hatte ich der statischen eine dynamische Formulierung an die Seite gestellt. Das war geschickt, denn eine Struktur entsteht nicht einfach so, sondern immer durch einen Vorgang.

Frage – dynamisch : Warum laufen einige Vorgänge freiwillig und spontan ab, andere dagegen nicht ?

Als Beispiele für solche Vorgänge hatte ich neben chemischen Reaktionen auch Lösungsvorgänge und Phasenübergänge (zum Beispiel das Schmelzen oder Sieden) genannt, und das Entstehen einer Struktur eines Stoffes.

Am Anfang des Kapitels hatte ich über Systeme und ihre Zustände berichtet. Auch das war geschickt, denn so konnte ich die Frage sehr allgemein und in der Sprache der Systeme formulieren.

Frage – aus Systemsicht : Warum ändern einige Systeme freiwillig und spontan ihren Zustand, andere nicht ? Warum ändern Systeme ihren Zustand in eine bestimmte Richtung, und nicht in eine andere ?

Schließlich hatte ich (zuerst in Kapitel 4.1.4. über Enthalpie) darauf hingewiesen, dass die Antwort, die in diesem Kapitel gegeben werden kann, nicht für alle Systeme gilt, sondern nur für einige.

Es sind Systeme, die im ersten Moment sehr speziell aussehen. Jedoch fallen so gut wie alle für die Struktur der Stoffe relevanten Systeme in diese Kategorie. Es sind Systeme, die erstens geschlossen sind, zweitens während des gesamten Energieaustauschs einen konstanten Druck besitzen und bei denen drittens keine andere Arbeit als Volumenarbeit geleistet wird.

Die Vollständigkeit der Antwort

Dem Prozess, immer größere Klarheit bei der Fragestellung zu erlangen, läuft ein anderer Prozess parallel. Er zielt auf das Erreichen einer vollständigen Antwort ab.

Bei der ersten Zwischenbilanz in Kapitel 4.1.5. hatte ich, in Widerspiegelung des historischen Erkenntnisprozesses, nur die Enthalpie als Einflussgröße genannt, aber gleich die Rolle von Gegenargumenten thematisiert.

Bei der zweiten Zwischenbilanz in Kapitel 4.1.9. hatte ich die Freie Enthalpie als zentrale thermodynamische Größe beschrieben, mit der man für jeden der hier betrachteten Vorgänge (geschlossenes System, isobar, keine andere Arbeit als Volumenarbeit) sofort entscheiden kann, ob er freiwillig und spontan abläuft, oder nicht.

Zusätzlich hatte ich in Kapitel 4.1.7.2. eine Formel zur Berechnung der Änderung der Freien Enthalpie vorgestellt, die 3 messbare (oder nachschlagbare) Größen auf einfache Weise verknüpft. Enthalpie, Entropie und Temperatur sind diese Größen, von denen es abhängt, ob ein Vorgang die thermodynamische Voraussetzung (ΔG < 0) erfüllt, um freiwillig und spontan ablaufen zu können.

In diesem Abschnitt habe ich über die Aktivierungsenergie geschrieben. Ist sie nicht vorhanden (oder nicht in genügendem Maß vorhanden), wird der Vorgang (egal was die Thermodynamik sagt, also egal ob ΔG < 0 gilt oder nicht) nicht freiwillig und spontan ablaufen können. Die Aktivierungsenergie ist ein Ausbremser und Verhinderer, nicht mehr.

Die (in diesem Projekt) abschließende Antwort auf die wichtigste Frage sieht nun so aus.

Antwort – abschließend : Ein Vorgang in einem geschlossenen, isobaren System, in dem keine Arbeit außer Volumenarbeit geleistet wird, läuft genau dann freiwiliig und spontan ab, wenn 2 Bedingungen erfüllt sind.
1.) Die Freie Enthalpie des Systems muss bei dem Vorgang abnehmen, das heißt, es muss ΔG < 0 gelten.
2.) Das System muss die benötigte Aktivierungsenergie aufbringen können.

Das Allgemeine und das Spezielle

Die eben gegebene Antwort ist sehr allgemein. Das hat einen Vorteil und einen Nachteil.

Der Vorteil. – Die Antwort gilt für alle der dort beschriebenen Vorgänge. Weiß man, dass die Freie Enthalpie abnehmen wird und dass genug Aktivierungsenergie vorhanden ist, weiß man sofort, dass der Vorgang ablaufen wird. Und wenn ein Vorgang abgelaufen ist, weiß man sofort, dass die Freie Enthalpie des Systems abgenommen hat, und dass genug Aktivierungsenergie vorhanden war.

Man kann den Ablauf unzähliger Vorgänge auf ein einziges Gesetz zurückführen.

Der Nachteil. – Oft möchte man wissen, ob eine chemische Reaktion wohl ablaufen wird, ob sich ein Stoff gut in Wasser löst, bei welcher Temperatur er schmilzt oder siedet, und welche Struktur er wohl annimmt, aber über die Freie Enthalpie und die Aktivierungsenergie bei all diesen Vorgängen weiß man nur wenig oder gar nichts, und man kann keine begründete Aussage machen.

In dieser Situation haben die Menschen versucht, Regeln aufzustellen, mit denen man (wenigstens mit einer gewissen Sicherheit) vorhersagen kann, ob der Vorgang freiwillig abläuft oder nicht. Über einige dieser Versuche habe ich auf meinen Seiten geschrieben.

Anwendungsfälle

Kristallstruktur von binären Salzen, Oxiden und Sulfiden. – Im Natriumchlorid–Kristall sind die kleinsten Teilchen in einer bestimmten Art angeordnet, im Zinkblende–Kristall (obwohl die Formeln, NaCl und ZnS, ganz ähnlich aussehen) aber wesentlich anders. Bild 1 zeigt sie.

Kristallstruktur von Natriumchlorid Kristallstruktur von Zinkblende

Bild 1 : Oben Kristallstruktur von Natriumchlorid. Jedes Ion hat 6 Nachbarn. Unten Kristallstruktur von Zinkblende. Jedes Ion hat 4 Nachbarn.

Es ist leicht zu sagen, dass der Natriumchlorid–Kristall in seinem Aufbau die niedrigste Freie Enthalpie hat, der Zinkblende–Kristall aber in seinem ganz anderen. Doch warum ist das so ? Und wie können möglichst einfache Regeln aussehen, diesen Unterschied (und analoge Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten bei anderen Verbindungen) zu begründen und die Struktur noch nicht untersuchter Stoffe vorherzusagen ?

Schon in der Anfangszeit der Röntgen–Kristallstrukturanalyse (im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts) hat man diese Fragen gestellt und nach Antworten gesucht.

Die ersten Lösungsansätze waren geometrisch geprägt. Man kann leicht Regeln bezüglich der Ionenradien aufstellen, und man kann schnell viele unterstützende Beispiele finden. Genauso schnell findet man leider auch Gegenbeispiele. Kein Wunder, denn rein geometrische Betrachtungen beachten nur die Ordnung der Ionen und können so nur Entropieaussagen machen, aber nichts über die Enthalpie mitteilen.

Spätere Vorschläge bezogen sich auf die Gitterenergie. Exakte Rechnungen erwecken den Eindruck exakter Ergebnisse. Macht man sich aber einmal all die nicht bedachten Vereinfachungen und Näherungen klar (zum Beispiel in L–12, Seite 119–125), zerfällt dieses Wunschbild schnell. Gitterenergierechnungen berücksichtigen zwar Enthalpie und Entropie, aber immer nur näherungsweise. Erklärungen und Voraussagen stimmen zwar oft, aber nicht immer.

Auch der Versuch, Kristallstrukturen aus „ersten Prinzipien” (engl. first principles) vorherzusagen, erinnert mich mehr an Stochern im Nebel als an wirkliche Antworten.

Tatsächlich ist es so, dass man selbst bei so einfach aufgebauten Stoffen wie hier die Kristallstruktur nur in begrenztem Maß mit vereinfachten und unvollständigen Enthalpie– und Entropieargumenten (und der Aktivierungsenergie) begründen und vorhersagen kann. Die Wirklichkeit ist sehr komplex, die benutzten Modelle kommen zu schnell an ihre Grenzen, um angemessen zu sein.

Löslichkeit, Mischbarkeit, Phasenübergänge. – Ein weites Feld für die Argumentation tut sich hier auf. Große und kleine Atome, Atome und Ionen, mehr oder weniger polarisierbare Ionen, polare und unpolare Moleküle, an bestimmten Stellen polare Moleküle, Ladungen verschiedener Größe, all das ist seit langem gut untersucht und hat gut begründbaren Einfluss auf die Kräfte, die zwischen den Teilchen wirken. Diese Kräfte und ihre Auswirkungen kann man detailliert beschreiben, und so kann man über die Enthalpieänderung vieler dieser Vorgänge umfangreiche Aussagen machen.

Mischungen von Wasser, Heptan, Malachitgrün und Iod

Bild 2 : Beide Systeme enthalten Wasser, Heptan, Malachitgrün und Iod, jedoch unterschiedlich verteilt. Mehr Info im Text.

Die Wechselwirkungen zwischen den Teilchen bestimmen nicht nur die Enthalpie eines Systems (zum Beispiel ein Gefäß mit Wasser und ungelöstem oder gelöstem Salz), sondern auch dessen Entropie. Sie bewirken, dass sich die Teilchen in bestimmter Weise anordnen und ändern damit die Entropie. Während man Enthalpiebetrachtungen schon früh angestellt hat (das Erhitzen eines Rundkolbens ist für Chemie–Forschende das Natürlichste auf der Welt), hat man die weniger anschaulichen Auswirkungen von Entropieänderungen erst später in die Überlegungen einbezogen.

Beide Systeme in Bild 2 enthalten 2 (praktisch) nicht miteinander mischbare Flüssigkeiten, unten Wasser und oben Heptan. Im linken System sind im Wasser Malachitgrün und Iod gelöst. Beide Stoffe sind in Wasser löslich. Schüttelt man das linke System 1 bis 2 Minuten kräftig, erhält man das rechte System. Iod löst sich in Heptan viel besser als in Wasser, deshalb wandert ein großer Teil ins Heptan und färbt es pink. Malachitgrün löst sich in Heptan fast gar nicht, deshalb bleibt es im Wasser zurück und färbt es, zusammen mit dem restlichen Iod, dunkelgrün. All diese Phänomene rund um die Löslichkeit (insgesamt sind es 9, darunter ein ungenanntes) kann man mit der Freien Enthalpie und der Aktivierungsenergie gut erklären.

Auf meinen Seiten werden Löslichkeit, Mischbarkeit und Phasenübergänge in den folgenden Kapiteln behandelt : Kapitel xx – demnächst.

smektische Flüssigkristalle

Bild 3 : Computersimulation eines Aggregats von Molekülen in einem smektischen Flüssigkristall.

Smektische Flüssigkristalle. – Das ist eine spezielle Art von Stoffen. Sie bestehen aus Molekülen, und diese Moleküle haben alle eine ähnliche Form. Sie sind stabförmig. Und sie sind relativ starr (nicht völlig starr, aber kaum beweglich). Neben großen unpolaren und nur wenig polarisierbaren Bereichen besitzen sie mehr oder weniger stark polare Stellen. Abhängig von der Temperatur können sich diese Moleküle zu Aggregaten mit unterschiedlicher Struktur zusammenlagern. Diese Strukturen nennt man smektische Flüssigkristalle. Welcher Stoff bei welcher Temperatur welche Struktur annimmt, wird durch Enthalpie und Entropie (kaum durch Aktivierungsenergie) gesteuert und kann heute gut erklärt werden.

Im Kapitel über die smektischen Flüssigkristalle (→ Kapitel 8.2.6.) habe ich das Zusammenspiel von Enthalpie und Entropie noch einmal, und anders als in diesem Kapitel erklärt. Dort habe ich auch die Einflussgrößen (so wie man sie in der Chemie sieht) benannt (→ Kapitel 8.2.6.2.) und eine Reihe von smektischen Phasen vorgestellt (→ Kapitel 8.2.6.6.). Bild 3 zeigt eine Computersimulation einer solchen smektischen Phase (sie heißt smA) aus stabförmigen, grün gezeichneten, in der Mitte rot markierten Molekülen.

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