Kapitel 2 : Stoffe

Kochsalzkristalle
Zuckerkristalle (Saccharose)
Schwefel-Kristalle aus dem Chemikalienhandel
Schwefel-Kristalle, Mineral aus Bolivien

Bild 1 : Stoffe, von oben nach unten : Kochsalz – Haushaltszucker – Schwefelkristalle, aus dem Chemikalienhandel – Schwefelkristalle, Mineral aus Bolivien

Viele Wissenschaften beschäftigen sich mit Stoffen.

Die Physik, die grundlegendste der Naturwissenschaften, versucht, das Verhalten aller Stoffe durch möglichst allgemeine Gesetze zu beschreiben. So gelten zum Beispiel die Bewegungsgleichung ( F = m ⋅ a ) und das Gravitationsgesetz für alle Stoffe, die Strömungsgesetze für alle Flüssigkeiten oder die Gesetze der Quantenphysik für alle Atome.

Andere Wissenschaften konzentrieren sich auf einen Teil der Stoffe oder einen Teil ihres Verhaltens. Medizin und Pharmazie untersuchen nur das Verhalten von Stoffen im menschlichen Körper, die Umweltwissenschaften das in der Umwelt. Geologie und Mineralogie beschreiben das Vorkommen von Stoffen in der Erdkruste und ihre Entstehung. Die Ingenieurwissenschaften versuchen, Stoffe zu finden, die aufgrund ihres Verhaltens für einen bestimmten Zweck geeignet sind, und die Materialwissenschaften unterstützen sie dabei, indem sie solche Stoffe gezielt erfinden.

Nur die Chemie untersucht alle Stoffe umfassend, ihre Herstellung, ihre Reaktionsfähigkeit und alle anderen physikalischen und chemischen Eigenschaften.

Man sagt daher oft, die Chemie ist die Wissenschaft von den Stoffen.

Im einzelnen erfahren Sie auf dieser Seite mehr über

Ein Stoff – Was ist das ?

Man könnte denken, in jedem guten Chemielehrbuch eine Definition eines so zentralen Begriffs zu finden. Dem ist nicht so. Einzig der Holleman–Wiberg (L–11) setzt sich im ersten Abschnitt seines ersten Kapitels mit dem Begriff des Stoffs auseinander.

Ein Ausgangspunkt für eine tiefer gehende Diskussion zum Stoffbegriff kann ein Artikel von Jens Soentgen (L–801) sein. Auch wenn man ihm nicht in allen Details folgen muss, spricht er doch wichtige Aspekte an. Zum Beispiel weist er darauf hin, dass zwischen einem Stoff (Materieportion, die in der Welt – Natur oder Labor – tatsächlich vorkommt) und dem Begriff des Stoffes (von Menschen erdachtes Wort zur Beschreibung) zwar ein lockerer Zusammenhang, aber auch wesentliche Unterschiede bestehen.

Im folgenden werde ich pragmatisch vorgehen.

Kupferchlorid-Dihydrat, fest
Kupferchlorid, wasserfrei, fest
Kupferchlorid-Lösungen

Bild 2 : Wie viele verschiedene Stoffe sind wohl auf diesem Bild ? Von oben nach unten sehen Sie : Kupferchlorid–Dihydrat, fest – Kupferchlorid, wasserfrei, fest – 4 Reagenzglääser mit Lösungen von Kupferchlorid (von links nach rechts konzentrierte wässrige Lösung (intensiv grün) – halbkonzentrierte Lösung – verdünnte Lösung (hellblau) – salzsaure Lösung (bräunlich))

Stoff – Versuch einer Definition

Unbestritten sollte sein, dass jeder Stoff Materie ist. Etwas, was nicht materiell ist, zum Beispiel Daten oder elektrische Felder, ist gewiss kein Stoff. Selbstverständlich ist weiter, dass es viele verschiedene Stoffe gibt. Kupfer, Holz oder verdünnte Salzsäure sind ohne Zweifel Stoffe, und bei diesen 3 Stoffen ist intuitiv klar, dass es unterschiedliche sind. Aber wie ist es bei anderen, sehr ähnlichen Stoffen ? Wie kann man entscheiden, ob 2 Stoffe gleich oder verschieden sind ? Es wird also in diesem Kapitel nicht darum gehen, zu erklären, was ein Stoff eigentlich ist (und wie man ihn von Nicht–Stoffen unterscheidet), sondern wie man erkennt, ob 2 Portionen Materie aus dem gleichen Stoff bestehen oder aus verschiedenen Stoffen.

Die Antwort sieht auf den ersten Blick ganz einfach aus. Man beschreibt den Stoff so eindeutig, dass man ihn von anderen Stoffen unterscheiden kann. Obwohl diese Aufgabe einige Fallen bereithält, gibt es keinen besseren Weg. Ich werde im Folgenden 2 Möglichkeiten vorstellen, wie man Stoffe beschreiben kann.

Erster Versuch – kleinste Teilchen

Man kann versuchen, Stoffe auf der Ebene der kleinsten Teilchen zu beschreiben. Eine solche Definition könnte etwa so aussehen.

Definition 1  – Wenn 2 Portionen Materie aus den gleichen kleinsten Teilchen (Atome, Ionen, Moleküle) aufgebaut sind, und beide diese kleinsten Teilchen im gleichen Mengenverhältnis enthalten, dann sind die beiden Materieportionen aus demselben Stoff, andernfalls nicht.

Diese Definition ist eine brauchbare Arbeitsgrundlage. Sie ist klar und eindeutig, und sie ist einfach zu verstehen. Man kann mit ihr entscheiden, ob 2 Portionen aus demselben Stoff sind oder nicht. 2 Einwände will ich aber erwähnen.

Granit aus Obertauern

Bild 3 : Granit aus Obertauern, Österreich, ca. 12 cm breit.

Ich werde im Folgenden eine weitere Definition vorstellen.

Kupfer, gediegen, Michigan/USA

Bild 4 : Kupfer, gediegen, ca. 6 cm breit, aus Michigan/USA.

Zweiter Versuch – Eigenschaften

Wer den Unterschied zwischen Holz und Kupfer beschreiben will, nennt deren unterschiedliche Eigenschaften. Dazu gehören Farbe, Härte, Dichte, Oberflächenglanz, Brennbarkeit und mehr. Man kann versuchen, Stoffe durch ihre Eigenschaften zu beschreiben. Eine solche Definition könnte etwa so aussehen.

Definition 2  – Wenn 2 Portionen Materie in allen Eigenschaften übereinstimmen, dann sind sie aus demselben Stoff, andernfalls nicht.

Diese Definition sieht gut aus. Ob sie auch gut ist ?

Ein Stoffbegriff, der Definition 2 entspricht, wurde um 1900 von Wilhelm Ostwald aufgestellt (L–802, S. 49).

Silizium, Einkristall
Silizium, Pulver
Butter - eine Emulsion
Polystyrol, Formstücke
Polystyrol mit eingeschlossenen Luftblasen
Holz
Quecksilber
Iod-Kristalle
Iod, fest und gasförmig
Gegenstände, die Messing enthalten

Bild 5 : Eine Auswahl von Stoffen. Von oben nach unten sehen Sie :
a.) Silizium, Einkristall, zur Herstellung von Chips geeignet
b.) Silizium, Pulver, Korngröße unter 150 Mikrometer
c.) Butter (eine Emulsion, in der bis zu 16 % Wasser in winzigen Tröpfchen (Durchmesser im Mikrometerbereich) in Fett verteilt sind)
d.) Polystyrol, Formstücke
e.) Polystyrol mit eingeschlossenen Luftblasen, unter dem Namen Styropor(R) ein handelsübliches Verpackungsmaterial
f.) Holz, ein Stoff wechselnder und nicht exakt spezifizierter Zusammensetzung
g.) Quecksilber
h.) Iodkristalle
i.) Iod, fest und gasförmig
j.) Gegenstände, die Messing enthalten. Die Unterlegscheiben sind aus vermessingtem Eisen, die silbrigen Schrauben aus verchromtem Messing, der Rest nur aus Messing – wenn man den Packungsaufschriften trauen darf.

Was ist erreicht ?

Ich habe Ihnen nicht versprochen, eine Definition des Begriffs Stoff zu liefern, und das habe ich gehalten. Alle Menschen haben eine intuitive Vorstellung davon, was ein Stoff ist (das, woraus etwas besteht). Das reicht tatsächlich. Die Chemikerinnen und Chemiker interessiert nicht, ob Präparat A ein anderer Stoff ist als Präparat B, sondern ob es anders reagiert oder sich sonstwie anders verhält.

Statt dessen habe ich Ihnen 2 Möglichkeiten gezeigt, Stoffe zu unterscheiden. Beide Definitionen sind nicht perfekt, aber jede bildet eine vernünftige Arbeitsgrundlage.

Unterscheidung von Stoffen :
    durch ihre kleinsten Teilchen oder
    durch ihre Eigenschaften

Sehen Sie sich die vielen Stoffe in den Bildern 1, 2 und 5 an und versuchen Sie, zu entscheiden, wo auf 2 Bildern gleiche und verschiedene Stoffe abgebildet sind, und wo auf einem Bild mehrere Stoffe sind. Akzeptieren Sie, dass keine endgültigen Entscheidungen möglich sind. Zum Beispiel ist Butter ein Stoff, sie besteht aber aus 2 Stoffen (Fett und Wasser). Wenn man genau ist, sieht man in Bild 2 6 verschiedene Stoffe, man kann aber auch „Kupferchlorid–Lösung” als Oberbegriff von 3 oder 4 Lösungen nehmen.

Die Chemie und die Exaktheit

Eine Definition des Stoffbegriffs bringe ich nicht. Angeblich braucht man sie nicht. Die Liste der Eigenschaften zur Unterscheidung von Stoffen ist lang, unübersichtlich, sicher unvollständig, und sie erscheint willkürlich.

Fehlt Ihnen da eine gewisse Exaktheit ? Oder sind Sie froh über das Fehlen mathematischer Formeln ? Wie auch immer, das gehört zur Chemie.

Die Physik hat ihre Wurzeln in der Mathematik und hat von dort die exakten Berechnungen und die penible Begriffsbildung übernommen.

Zu den Wurzeln der Chemie gehören die Alchemie, die Heilkunst und die Arbeit traditioneller Handwerker. So war die Chemie über lange Zeit mehr Kunst als Wissenschaft. Das kreative Ausprobieren neuer Ideen, das Schaffen bisher völlig unbekannter Stoffe, das Entdecken von Reaktionen begeistert die Forschenden in der Chemie mehr als das normgerechte Hinschreiben von Bezeichnungen und Maßeinheiten. Vielleicht hat sich ein wenig davon bis heute erhalten.

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