Chiralität und Symmetrie

  Korkenzieher, rechtsgängig Korkenzieher, gespiegelt

Bild 1 : Links ist ein gewöhnlicher Korkenzieher. Man dreht ihn rechtsherum in den Korken. Auf dem Bild rechts daneben wurde derselbe Korkenzieher gespiegelt. Man müsste ihn linksherum drehen. Der Korkenzieher ist chiral.

Worum geht es ?

Zuerst erfahren Sie in diesem Kapitel, was man unter Chiralität versteht. Die meisten Menschen verstehen Chiralität am besten an Beispielen. Deshalb zeige ich auf der Folgeseite eine Menge von chiralen und nicht–chiralen Gegenständen aus dem Alltag.

Aber es soll ja um chirale Moleküle gehen. Und oft steht dann die Frage im Raum, ob ein bestimmtes Molekül chiral ist und woran man das erkennt. Wir werden uns also Moleküle nicht nur ansehen, sondern versuchen, Kriterien aufzustellen, anhand derer man entscheiden kann, ob ein Molekül chiral ist oder nicht.

Dazu erfahren Sie auf dieser und den folgenden Seiten mehr über

Definition der Chiralität

Definition : Ein Gegenstand heißt chiral, wenn er keine Drehspiegelachse besitzt. Er heißt achiral, wenn er (mindestens) eine solche hat.

Diese Definition ist eindeutig, aber für viele Menschen schwer verständlich. Was ist eine Drehspiegelachse, und wie arbeitet man mit ihr ?

Man kann dieses Problem auf 2 Arten angehen. Entweder man beschäftigt sich mit Drehspiegelachsen. Lesen Sie dazu den gleich folgenden Abschnitt über Symmetrieelemente. Oder man formuliert die Definition ein wenig um und macht sie so anschaulicher. Beide Formulierungen sind äquivalent (gleichwertig).

Definition, umformuliert : Ein Gegenstand heißt chiral, wenn man ihn (allein durch Verschieben und Drehen im Raum) nicht mit seinem Spiegelbild zur Deckung bringen kann. Andernfalls heißt er achiral (=nicht–chiral).

Ein Gegenstand heißt chiral, wenn man ihn nicht mit seinem Spiegelbild zur Deckung bringen kann. Er hat also keine Drehspiegelachse.

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Symmetrieelemente

Im 18. und 19. Jahrhundert haben sich Mathematiker intensiv damit beschäftigt, geometrische Operationen zu finden, mit denen man einen Gegenstand des 3–dimensionalen Raums auf sich selbst abbilden kann. „Auf sich selbst abbilden” heißt, man nimmt einen Gegenstand, führt die Operation aus und erhält exakt den gleichen Gegenstand an derselben Stelle wieder.

Letztenendes hat man nur ganz wenige solche Operationen gefunden. Es sind die im folgenden beschriebenen Symmetrieoperationen, und sie spielen eine große Rolle bei der Beschreibung der Chiralität.

Wenn man es genau nimmt, gibt es nur 2 solcher Operationen, nämlich Drehungen und Drehspiegelungen. Weil es praktisch ist, hat man 2 spezielle Drehspiegelungen mit eigenen Namen versehen und betrachtet sie oft getrennt, nämlich die Spiegelung und die Inversion.

Drehungen

Bei einer Drehung wird ein Gegenstand gedreht – das ist nichts Neues. Wichtig ist, anzugeben, um welche Achse er gedreht wird und um welchen Winkel.

Die Achse, um die der Gegenstand gedreht wird, heißt Drehachse, und wenn wir den Gegenstand auf sich selbst abbilden wollen, geht sie immer durch das Innere des Gegenstands. Die Drehung ist also eine Symmetrieoperation, und die Drehachse ihr Symmetrieelement.

Der Winkel, um den gedreht wird, heißt Drehwinkel, und er kann im Prinzip beliebig sein. Kugeln, Zylinder und andere rotationssymmetrische Gegenstände will ich aber hier weglassen, sondern nur Moleküle und andere nicht rotationssymmetrische Gegenstände betrachten. Wollen wir solche auf sich selbst abbilden, muss der Drehwinkel 360° oder, je nach Form des Gegenstands, einen ganzzahligen Bruchteil davon betragen, z.B. 180° oder 120°.

Würfel mit einer vierzähligen Drehachse

Würfel 1
Bild 2 : Dieser Würfel hat eine vierzählige Drehachse (rot), das heißt, wenn man ihn um 90° um diese Achse dreht, wird er auf sich selbst abgebildet. Das R auf der vorderen Fläche kommt dabei auf das R der rechten Fläche.

Die Mathematiker haben für solche Drehungen Bezeichnungen eingeführt.

Was das bedeutet, sehen Sie in Bild 2. Dreht man den Würfel mit den 4 Buchstaben „R” um 90° um die eingezeichnete rote Drehachse, so wird er auf sich selbst abgebildet. Er besitzt also das Symmetrieelement C4. Dreht man ihn weitere dreimal (insgesamt also viermal) um diese Achse, hat man eine volle Drehung (um 360°) ausgeführt. Sie sehen, die Drehachse ist wirklich vierzählig.

Derselbe Würfel hat auch eine zweizählige Symmetrieachse C2. Das heißt, man kann ihn um 180° oder um 360° drehen und bildet ihn dabei auf sich selbst ab. Er hat keine dreizählige und keine sechszählige Symmetrieachse, denn Drehungen um 120° oder um 60° bilden ihn nicht auf sich selbst ab. Bei Molekülen und anderen Gegenständen ist es genauso : einige Symmetrieelemente sind vorhanden, andere nicht.

Hat ein Gegenstand eine n–zählige Drehachse (Bezeichnung Cn), so bildet eine Drehung um eine passende Drehachse um 360/n Grad den Gegenstand auf sich selbst ab.

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Spiegelungen

Oft erklärt man die Spiegelung eines Gegenstands so : neben den Gegenstand wird eine Ebene (sie heißt Spiegelebene) hingestellt, und er wird an dieser Ebene gespiegelt. Der so gespiegelte Gegenstand wird ein wenig durch den Raum geschoben und nimmt dann dieselbe Position und Lage ein wie der ursprüngliche Gegenstand. Für Ungeübte und in der Schule, wo es nicht jede und jeden interessiert, ist das sicher ganz praktisch, aber die eigentliche Spiegelung zu Beginn hat den Gegenstand nicht auf sich selbst abgebildet.

Würfel mit einer Spiegelebene

Würfel 2
Bild 3 : Er hat eine Spiegelebene, die durch seine Mitte geht. Durch Spiegelung an dieser Ebene wird er auf sich selbst abgebildet. Das A auf der rechten Fläche kommt dabei auf das A der linken Fläche.

Die korrekte Spiegelung eines Gegenstands geht anders. Eine Ebene (die Spiegelebene) wird so im Raum plaziert, dass der Gegenstand sofort, das heißt ohne nachträgliches Herumgeschiebe, auf sich selbst abgebildet wird. Die Spiegelebene verläuft dabei immer durch das Innere des Gegenstands.

Auf Bild 3 sehen Sie einen Würfel mit den 4 Buchstaben „A” und eine Spiegelebene. Durch Spiegeln an dieser Ebene wird der Würfel auf sich selbst abgebildet – die Ecke vorn oben links wird auf die Ecke vorn oben rechts abgebildet, das A auf der rechten Seitenfläche auf das A auf der linken Seitenfläche, und das A vorn auf sich selbst.

Beide Operationen (die Spiegelung mit Verschieben aus dem ersten Absatz und die korrekte Spiegelung aus dem zweiten) sind äquivalent, das heißt, sie führen zum selben Ergebnis.

Die Bezeichnung der Spiegelebene (sie ist das Symmetrieelement der Spiegelung) ist σ.

Auf den ersten Blick erscheint es umständlich, sich die Spiegelung so vorzustellen, dass der Gegenstand zuerst um 360° gedreht wird (er hat dabei seine Position und Lage behalten) und dann gespiegelt wird. Aber wir haben dabei erkannt, dass die Spiegelung auch gleichzeitig eine Drehspiegelung ist. Mehr über Drehspiegelungen im übernächsten Abschnitt.

Wir haben gesehen, dass der Würfel 2 (mit den Buchstaben A) eine Spiegelebene hat. Er hat auch, wie Würfel 1 (der mit den Buchstaben R) eine vierzählige Drehachse und eine zweizählige Drehachse. Dagegen hat Würfel 1 keine Spiegelebene. Egal, an welcher Ebene man ihn spiegelt, die Buchstaben R werden nie auf sich selbst abgebildet. Sie sehen das gut auf Bild 4.

Würfel und sein Spiegelbild, dazu eine Spiegelebene Würfel und sein Spiegelbild, dazu eine Spiegelebene

Würfel 2 und Würfel 1 nochmal
Bild 4 : Auf dem ersten Bild sehen Sie links den Originalwürfel 2, eine Spiegelebene und rechts den gespiegelten Würfel. Es ist deutlich zu erkennen, dass beide Würfel gleich sind. Aber der Originalwürfel wurde nicht auf sich selbst abgebildet, sondern auf einen Würfel. der ein Stück rechts davon steht.
Auf dem zweiten Bild sehen Sie, dass es manchmal geschickt ist, an einer Ebene außerhalb des Gegenstands zu spiegeln. Man sieht schnell, dass Originalwürfel und gespiegelter Würfel verschieden sind. Auch wenn man die Spiegelebene anders legt, ändert sich nichts. Würfel 1 hat keine Spiegelebene.

 

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Inversion

Würfel mit einem Inversionszentrum

Würfel 3
Bild 5 : Er hat ein Inversionszentrum, das in der Würfelmitte liegt. Durch Spiegelung an diesem Punkt wird er auf sich selbst abgebildet. 3 schwarze Linien zeigen 3 Punkte und ihre Spiegelpunkte.

Das Symmetrieelement der Inversion ist ein Punkt. Er heißt Symmetriezentrum oder Inversionszentrum, und manchmal wird er auch noch anders genannt. Seine Bezeichnung ist i.

Hat ein Gegenstand (oder ein Molekül) ein Symmetriezentrum, so kann man jeden Punkt des Gegenstands (oder jedes Atom des Moleküls) an diesem Punkt spiegeln und so den Gegenstand auf sich selbst abbilden. Dazu muss das Symmetriezentrum im Innern des Gegenstands (oder Moleküls) liegen.

Ein Beispiel sehen Sie in Bild 5. Würfel 3 hat viermal den Buchstaben R auf seinen Seiten, aber anders angeordnet als in Würfel 1. Er besitzt ein Symmetriezentrum, das in der Würfelmitte liegt und durch einen dicken roten Punkt markiert ist. Zur besseren Veranschaulichung sind 3  schwarze Linien eingezeichnet, die 3 Punkte des Würfels mit ihren Symmetriepartnern verbinden.

Wie schon die Spiegelung, so kann man sich auch die Inversion aus anderen Symmetrieoperationen zusammengesetzt vorstellen. Bild 6 zeigt dies in 2 Schritten. Würfel 3 wird erst um 180° um die eingezeichnete Achse gedreht (Schritt 1) und dann an einer Ebene, die senkrecht zur Drehachse steht, gespiegelt (Schritt 2). Er ist nun gleich dem Ausgangswürfel. Auch die Inversion ist also eine Drehspiegelung.

Inversion eines Würfels, als Drehung und Spiegelung gezeigt

Würfel 3
Bild 6 : Dieses Bild zeigt, dass eine Inversion eine Drehspiegelung an einer zweizähligen Drehachse ist.
Ganz links sehen Sie den Ausgangswürfel, zusammen mit einer Drehachse.
In der Mitte sehen Sie denselben Würfel, an der Achse um 180° gedreht. Das R auf der vorderen Fläche wird auf die hintere Fläche abgebildet, das R auf der rechten Seitenfläche bleibt auf dieser Fläche, steht durch die Drehung aber auf dem Kopf.
Den rechten Würfel erhält man, indem der mittlere (gedrehte) Würfel an der eingezeichneten Ebene gespiegelt wird. Er ist gleich dem Ausgangswürfel, also auch gleich dem invertierten Würfel. Inversion und Drehspiegelung an einer zweizähligen Achse führen wirklich zum gleichen Ergebnis.

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Drehspiegelungen

2 kennen wir schon. Es ist die Spiegelung und die Inversion. Allgemein ist eine Drehspiegelung eine Drehung um einen ganzzahligen Bruchteil von 360° (also z.B. 180°, 120°, 90°) und anschließende Spiegelung an einer Spiegelebene, die senkrecht zur Drehachse der anfänglichen Drehung steht.

Die Drehachse heißt nun Drehspiegelachse, und je nachdem, welche Zähligkeit die Drehachse hat, nennt man sie auch, nachdem sie nun zur Drehspiegelachse geworden ist, einzählig, zweizählig usw. Ihre Bezeichnungen sind S1, S2 usw.

Die wichtigsten Drehspiegelungen sind

Drehspiegelungen an höherzähligen Achsen sind bei Molekülen eher selten.

Spiegelung und Inversion sind die wichtigsten Drehspiegelungen.

Die Bezeichnungen der Symmetrieelemente

Im Lauf der Zeit haben sich mehrere konkurrierende Bezeichnungssysteme entwickelt. Auf dieser Seite habe ich die so genannten Schoenflies–Symbole benutzt, die zur Beschreibung von Molekülen und anderen Gegenständen von endlicher Ausdehnung am besten geeignet sind. Für Kristalle werden oft die Hermann–Mauguin–Symbole benutzt.

Wie weit sind wir gekommen ?

Unsere erste Frage, die wir uns bei der Definition der Chiralität gestellt haben, war, was eigentlich eine Drehspiegelachse ist.

Diese Frage ist beantwortet. und wir haben nicht nur eine formale Definition, sondern auch die 2 wichtigsten Beispiele für Drehspiegelachsen kennen gelernt, nämlich die Spiegelung und die Inversion. Deshalb konnte ich auch den Abschnitt über Drehspiegelachsen so kurz halten. Es war ja schon fast alles gesagt.

Die andere Frage war, wie man erkennt, ob ein Molekül (oder sonst ein Gegenstand) eine Drehspiegelachse besitzt, oder ob es keine hat. Der erste Teil der Frage erscheint uns schwierig, aber lösbar. Man muss irgendwie eine Spiegelebene oder ein Inversionszentrum finden. Der zweite Teil erscheint uns fast unlösbar, denn wie will ich wirklich sicher sein, dass weder eine Spiegelebene noch ein Inversionszentrum vorhanden ist ? Dass ich so etwas nicht finde, hat ja nicht viel zu bedeuten. Vielleicht bin ich nur zu ungeschickt, oder das Symmetrieelement hat sich gut versteckt.

Ganz zu Beginn dieser Seite habe ich defensiv formuliert, wir werden „versuchen, Kriterien aufzustellen”. Jetzt kann ich die Katze aus dem Sack lassen. Es gibt keine einfachen, rezeptmäßig anwendbaren Kriterien, mit denen man entscheiden kann, ob ein Molekül chiral ist oder nicht, das heißt, ob es keine Drehspiegelachse hat. Was kann man tun ? Vielleicht dies.

Wenn Sie den Weg des zweiten Punktes gehen wollen, empfehle ich die Symmetrieseite von englische Flagge Dean Johnston von der Otterbein University (die heißt wirklich so und ist in Ohio/USA). Sie können sich dort an einer großen Zahl von Molekülen alle Symmetrieelemente ansehen, auch die nicht so offensichtlichen. Wer kommt schon von selbst darauf, dass Methan 3 vierzählige Drehspiegelachsen hat ?

Den Weg des ersten Punktes gehe ich auf der Seite über Chiralitätselemente.

Auch auf meinen Seiten können Sie demnächst eine Menge chiraler und nicht–Moleküle und andere Gegenstände kennenlernen, und so Muster erkennen, die in chiralen Molekülen immer wieder auftauchen.

 

 

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